Verspätung von Codesharing-Flug

AG Frankfurt: Verspätung von Codesharing-Flug

Die Kläger fordern von der Beklagten, einem Luftfahrtunternehmen, eine Ausgleichszahlung wegen der Verspätung ihres Fluges. Der Flug wurde aufgrund eines Code-Sharings nicht durch das beklagte Luftfahrtunternehmen ausgeführt, welches die Bordkarte ausstellte und die Flugnummer zugewiesen hatte, sondern durch ein durch dieses beauftragte Luftfahrtunternehmen.

Das Amtsgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Der Anspruch auf eine Ausgleichszahlung müsse sich immer gegen das tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen richten. Das hier beklagte Luftfahrtunternehmen sei jedoch nicht dieses ausführende Luftfahrtunternehmen, sondern lediglich geschäftlich mit diesem verbunden

AG Frankfurt 31 C 739/07 (Aktenzeichen)
AG Frankfurt: AG Frankfurt, Urt. vom 15.06.2007
Rechtsweg: AG Frankfurt, Urt. v. 15.06.2007, Az: 31 C 739/07
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Hessen-Gerichtsurteile

Amtsgericht Frankfurt

1. Urteil vom 15. Juni 2007

Aktenzeichen: 31 C 739/07

Leitsatz:

2. Im Rahmen eines Code-Sharing-Fluges haftet lediglich das ausführende, nicht das beauftragende Unternehmen.

Zusammenfassung:

3. Die Kläger buchten bei einem Luftfahrtunternehmen einen Flug. Aufgrund einer Verspätung erreichten Sie ihren Zielflughafen erst mit einer mehrstündigen Verspätung. Der Flug wurde aufgrund eines so genannten „Code-Sharing“ nicht durch das Luftfahrtunternehmen ausgeführt, sondern durch ein durch dieses beauftragtes Luftfahrtunternehmen.
Die Kläger begehren nun eine Ausgleichszahlung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 wegen der Flugverspätung.

Das Amtsgericht Frankfurt hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Ausgleichszahlung müsse sich gem. Art. 2 b) der Verordnung gegen das tatsächlich ausführende Luftfahrtunternehmen richten. Vorliegend habe die Beklagte die Beförderungsleistung an eine andere Fluggesellschaft abgetreten.
Hierdurch sei es ihr nicht länger möglich, auf die tatsächliche Leistungserbringung einzwirken. Eine Haftbarmachung hätte zur Folge, dass die Airline für Handlungen einzustehen hätte, deren Verlauf und Ausgang nicht in ihrem Handlungsbereich liegen.

Das beauftragende Luftfahrtunternehmen stehe folglich in keinem juristischen Verhältnis zum Fluggast und sei diesem gegenüber auch nicht ersatzpflichtig.
Etwaige Schadensersatz- oder Ausgleichsforderungen seien nach Art. 3 der Fluggastrechte-VO an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu richten.

Tenor:

4. Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

5. Die Parteien streiten um einen Ausgleichsanspruch aufgrund der VO (EG) Nr. 261/2004.

6. Der Kläger buchte bei der Beklagten einen Flug von Nürnberg über Paris nach Mahé/Seychellen (Flug …. Der Flug von Paris nach Mahé hätte planmäßig am 15.12.2006 um 19:35 Uhr abfliegen sollen. Tatsächlich fand er erst am 16.12.2006 um 17:20 Uhr statt. Er wurde im Rahmen des Codesharing-Verfahrens durch die … durchgeführt.

7. Mit Schreiben vom 23.02.2007 forderte der Kläger die Beklagte vergeblich zur Zahlung einer Ausgleichsleistung in Höhe von 600,– Euro gemäß der VO (EG) Nr. 261/2004 wegen Flugannullierung auf.

8. Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger seinen außergerichtlich geltend gemachten Anspruch auf Ausgleichszahlung weiter.

9. Er ist der Ansicht, trotz Durchführung des Fluges durch die … im Wege des Codesharings sei die Beklagte als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. VO (EG) Nr. 261/2004 anzusehen, das die Zahlung der für Annullierungen vorgesehenen Ausgleichsleistung schulde.

10. Er behauptet außerdem, nicht gewusst zu haben, dass der Flug durch die … durchgeführt werde. Dies habe er erst am Flughafen erfahren.

11. Der Kläger beantragt,

12. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 600,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.

13. Die Beklagte beantragt,

14. die Klage abzuweisen.

15. Die Beklagte ist der Ansicht, sie sei bereits nicht passivlegitimiert, da nicht sie, sondern die … den Flug als Codeshare-Flug durchgeführt habe und daher „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ i.S.d. VO (EG) Nr. 261/2004 sei.

16. Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

17. Die Klage ist unbegründet.

18. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus Art. 7 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 zu, da die Beklagte für diesen Anspruch nicht passivlegitimiert ist.

19. Anspruchsverpflichtet und daher passivlegitimiert ist für die in Art. 7 der VO (EG) Nr. 261/2004 geregelte Ausgleichszahlung allein das „ausführende Luftfahrtunternehmen“. Im Fall der Ausgleichsleistung wegen Annullierung, wie sie hier grundsätzlich in Betracht käme, ergibt sich dies aus Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004. Unter „ausführendem Luftfahrtunternehmen“ ist gemäß der Begriffsbestimmung in Art. 2 lit. b) der VO (EG) Nr. 261/2004 ein Luftfahrtunternehmen zu verstehen, „das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“. Entscheidend ist nach der Verordnung somit nicht, mit welchem Flugunternehmen der Fluggast einen Beförderungsvertrag geschlossen hat, sondern welches Flugunternehmen den Flug durchführt.

20. Dies bedeutet, dass bei einem Codeshare-Flug die verschiedenen in der Verordnung statuierten Verpflichtungen – so auch die Verpflichtung zur Zahlung von Ausgleichsleistungen – nicht das beauftragende Flugunternehmen treffen, sondern dasjenige Flugunternehmen, das tatsächlich die Durchführung des Fluges übernimmt. Die Möglichkeit, dass im Rahmen eines Codesharings ein anderes Luftfahrtunternehmen als der Vertragspartner des Fluggastes den Flug ausführt und deshalb „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne der VO (EG) Nr. 261/2004 ist, war dem Verordnungsgeber offensichtlich auch bewusst, wie sich aus Art. 3 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 261/2004 ergibt: „Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.“

21. Diese Differenzierung zwischen dem Vertragspartner und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ist bereits aus dem Montrealer Übereinkommen (Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr) bekannt, das in seinem Art. 39 den vertraglichen und den ausführenden Luftfrachtführer voneinander abgrenzt. Da dem EG-Verordnungsgeber kaum unterstellt werden kann, er habe die im Montrealer Übereinkommen verwendeten Begrifflichkeiten nicht gekannt, ist davon auszugehen, dass er bewusst dem ausführenden und nicht (auch) dem vertraglichen Luftfrachtführer bzw. Luftfahrtunternehmen die verschiedenen in der VO (EG) Nr. 261/2004 geregelten Verpflichtungen auferlegt hat. Der Wortlaut der Verordnung ist als klar und eindeutig anzusehen (so auch Schmid, a.a.O.).

22. Soweit die Klägerseite die Auffassung vertritt, die VO (EG) Nr. 261/2004 sei im Lichte des Montrealer Übereinkommens auszulegen, das in seinem Kapitel V (Luftbeförderung durch einen anderen als den vertraglichen Luftfrachtführer) eine Haftung sowohl des vertraglichen als auch des ausführenden Luftfrachtführers (Art. 40) sowie eine wechselseitige Zurechnung von Pflichtverletzungen vorsieht, mit der Folge, dass auch im Rahmen der VO (EG) Nr. 261/2004 der vertragliche Luftfrachtführer neben dem ausführenden hafte, ist dem nicht zu folgen.

23. Die Regelungen in Kapitel V des Montrealer Übereinkommens beziehen sich allein auf die Haftung nach den Vorschriften eben dieses Übereinkommens. Es käme allenfalls eine ergänzende, analoge Heranziehung der Vorschriften des Montrealer Übereinkommens im Rahmen der VO (EG) Nr. 261/2004 in Betracht, wenn diese eine planwidrige Regelungslücke enthielte. Da aber – wie bereits dargestellt – davon auszugehen ist, dass der Verordnungsgeber bewusst den Begriff „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ gewählt und ausweislich des Art. 3 Abs. 5 VO (EG) Nr. 261/2004 die Methode des Codesharings zur Kenntnis genommen hat, verbietet sich die Annahme einer solchen planwidrigen Regelungslücke und eines Analogiebedürfnisses.

24. Die hier vertretene Auslegung der VO (EG) Nr. 261/2004 widerspricht auch nicht etwa – wie die Klägerseite meint – jeder juristischen Systematik, weil dadurch einer Vertragspartei Ansprüche gegenüber ihrem Vertragspartner abgeschnitten würden. Keineswegs wird nämlich dem Fluggast der Vertragspartner entzogen. Die in Art. 7 der VO (EG) Nr. 261/2004 statuierte Ausgleichspflicht der Flugunternehmen ergänzt vielmehr lediglich die bereits nach bisheriger Rechtslage bestehenden vertraglichen Ansprüche, ohne diese auszuschließen. Dies geht klar aus Art. 12 der VO (EG) Nr. 261/2004 hervor, wonach die Verordnung „unbeschadet eines weiter gehenden Schadensersatzanspruchs des Fluggastes“ gilt und die Ausgleichsleistung lediglich auf einen solchen Schadensersatzanspruch angerechnet werden kann. Auf vertraglicher Grundlage Minderungs- oder Schadensersatzansprüche gegen das vertragliche Luftfahrtunternehmen geltend zu machen, bleibt dem Fluggast daher auch im Fall des Codesharings unbenommen. Auf die Berechtigung solcher vertraglicher Ansprüche im vorliegenden Fall ist an dieser Stelle jedoch nicht einzugehen, da Streitgegenstand allein der vom Kläger begehrte verschuldensunabhängige und auf die VO (EG) Nr. 261/2004 gestützte Ausgleichsanspruch ist.

25. Soweit der Kläger der hier vertretenen Auslegung noch entgegenhält, diese sei nicht mit dem Verbraucherschutzgedanken der VO (EG) Nr. 261/2004 vereinbar, ist ihm zwar insoweit recht zu geben, als es unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes noch wirkungsvoller wäre, dem Fluggast einen Ausgleichanspruch auch gegenüber dem vertraglichen Luftfahrtunternehmen zu gewähren. Gleichwohl sieht sich das Gericht an dieser verbraucherfreundlicheren Interpretation durch den – wie dargestellt – klaren Wortlaut der Verordnung gehindert.

26. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen ist nicht die Beklagte, sondern allein die … Schuldnerin eines gegebenenfalls gem. Art. 7 Abs. 1 lit. c) i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c) VO (EG) Nr. 261/2004 bestehenden Ausgleichsanspruchs. Denn vorliegend hat unstreitig die … den Flug durchgeführt. Inwieweit dies dem Kläger vor dem Flug bereits bekannt war, spielt keine Rolle. Ohnehin ist es nicht ungewöhnlich, dass der Fluggast – wie hier – erst am Flughafen von der Durchführung des Fluges im Rahmen des Codesharings erfährt.

27.Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

28. Die Berufung war gem. § 511 Abs. 4 ZPO zuzulassen, weil die Sicherung einer – nicht nur deutschland-, sondern auch europaweit – einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Der vorliegende Rechtsstreit hat die Frage der Auslegung der VO (EG) Nr. 261/2004 im Fall von Codeshare-Flügen zum Gegenstand, die innerhalb der Gemeinschaft bereits unterschiedlich beantwortet wurde und voraussichtlich noch Gegenstand weiterer Rechtsstreitigkeiten sein wird; so hat etwa das spanische Handelsgericht beim AG Balboa eine von der hier vertretenen abweichende Rechtsauffassung vertreten (vgl. Schmid, a.a.O.). Die Schwierigkeiten bei der Auslegung der VO (EG) Nr. 261/2004 lassen eine Entscheidung des Berufungsgerichts als geboten erscheinen, das dann auch über eine eventuell erforderlich Vorlage nach Art. 234 EG an den EuGH zu befinden hätte.

29. Streitwert: 600,– Euro (§ 48 Abs. 1 S. 1 GKG, §§ 1, 3ff ZPO)

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